Weshalb ich mir überhaupt derartige Gedanken mache, ist die aktuelle Diskussion über die stärkere Belastung von „Besserverdienenden“, die nun auch vermehrt unter Liberalen geführt wird, und zwar völlig zurecht, wie ich betonen möchte. Selbst vielen FDP-Mitgliedern waren die ständigen Steuersenkungslitaneien der Parteiführung in Berlin angesichts der Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise und dadurch bedingter Rekordverschuldung der öffentlichen Hand zunehmend peinlich. Von dem überflüssigen Steuerrabatt für Hoteliers ganz zu schweigen, auch wenn sich insoweit allerdings mehr und mehr die CSU als treibende Kraft entpuppt. Die FDP soll nämlich bereit gewesen sein, in der Berliner Koalition auf dieses Steuergeschenk zu verzichten (vgl. Lübecker Nachrichten, 26.06.2010, Seite 4). Dass das Sparpaket der Bundesregierung, so dringend es auch erforderlich ist, Lasten ungleich verteilt, ist offensichtlich. „Die FDP hätte beim Sparpaket darauf achten müssen, dass es sozial ausgewogen ist“, bemerkte unlängst treffend Jürgen Koppelin, FDP-Parteivorsitzender in Schleswig-Holsteins und einer der Stellvertreter Westerwelles. Eine auch so genannte „Reichensteuer“ dürfte also auf kurz oder lang kommen (müssen).
Damit komme ich wieder zur Eingangsfrage zurück: „Bin ich reich?“ Diese Frage an mich selbst ist rhetorisch – ich bin es nicht, ich fühle mich jedenfalls nicht so. Wobei die teilweise synonym verwendeten Begriffe „reich“ und „besser verdienend“ durchaus eher verschwommen sind. Wir erinnern uns gern an den peinlichen Lapsus des damaligen SPD-Bundesvorsitzenden und einstigen SPD-Hoffnungsträgers Rudolf Scharping, der im Bundestagswahlkampf 1994 eine Ergänzungsabgabe für „Besserverdienende“ forderte und diese Grenze bei einem Jahreseinkommen von 50.000 für Ledige und 100.000 für Verheiratete setzte – wohlgemerkt D-Mark! Auf Nachfrage eines Journalisten betonte Scharping dann, dass er Bruttoeinkommen meine. Auch wenn wenig später zurückgerudert wurde, er habe „netto“ gemeint, ist festzustellen, dass man für den SPD-Bundesvorsitzenden 1994 also mit umgerechnet rund 50.000 Euro Netto-Familieneinkommen als Verheirateter zu den „Besserverdienern“ gehörte. Mit dieser Vorstellung stand bzw. steht Scharping allerdings nicht allein. Angeblich seien laut einer aktuellen Forsa-Umfrage 42 Prozent der Deutschen, die über ein Nettoeinkommen von über 4000 Euro monatlich verfügen, bereit, zur Bewältigung der Krise mehr Steuern zu entrichten, berichteten die Lübecker Nachrichten am 24. Juni 2010.
Nun kann ich mich als Verheirateter mit drei schulpflichtigen Kindern glücklich schätzen, zu diesem Kreis von Einkommensbeziehern zu gehören – womit der Fiskus bereits knapp 1.200 Euro Lohnsteuer an mir „verdient“ hat, was auch völlig in Ordnung ist. Zieht man die monatlichen Belastungen für das Haus, Auto, Kleidung, Essen usw. ab, so würde es ohne zusätzliche Einkünfte (z.B. Kindergeld) schon recht knapp. Um nicht missverstanden zu werden: Uns geht’s gut und wir haben wahrlich keinen Grund zu jammern, aber „reich“ sind wir dadurch nun wirklich nicht – typisch Mittelschicht eben. Wobei wir bei der eigentlichen Gefahr der aktuellen Diskussion angelangt sind, dass nämlich denjenigen Zusatzlasten aufgebürdet werden, die schon jetzt dem Staat das höchste Steueraufkommen garantieren, ohne dass diese sich wirklich in Einkommenssphären befänden, in denen man von „Reichtum“ sprechen könnte.
Man kann daher nur hoffen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung hier mit Augenmaß vorgeht, und – in diesem Sinne positiv – auf die FDP setzen. Eine wie auch immer geartete steuerliche Mehrbelastung sollte sich auf diejenigen konzentrieren, die tatsächlich so wohlhabend sind, dass sie die Zusatzsteuer ohne große Einschränkungen im täglichen Leben zahlen können.
Noch besser wäre es natürlich, wenn der Bundesgesetzgeber die Kraft zu einer wirklichen Steuerreform aufbrächte, die sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens stützen könnte. Ich denke nicht erst seit den aktuellen, öffentlichen Bekenntnissen einiger prominenter Spitzenverdiener (vgl. „Reiche wollen mehr Steuern zahlen“, LN vom 24.06.2010, Seite 4), dass die Grundbereitschaft „gut Betuchter“ durchaus da ist, sich finanziell mehr am Gemeinwesen zu beteiligen, und sei es auch nur um der Bewahrung des sozialen Friedens willen. Wenn dann im Gegenzug die „Neiddebatte“ ein für allemal beendet werden könnte und nicht jedes Mal bei Auftauchen neuen staatlichen Finanzbedarfs (z.B. in den Sozialsystemen) sofort wieder begehrlich auf das „Portemonnaie der Besserverdienenden geschielt“ würde (die ja zurecht auch jetzt schon mehr Steuern zahlen als andere), hätten alle etwas davon. Aber nun gleite ich wohl ins Visionäre ab…