Die etwas andere liberale Stimme aus der Hansestadt Lübeck

Ausführliche Hintergründe (Schreiben an die FDP-Mitglieder)

Lübeck, 03. Mai 2010

 Liebe Parteifreunde,

 wie ich Ihnen bereits per E-Mail am 01. Mai 2010 mitteilte, habe ich mich dazu entschlossen, mein Bürgerschaftsmandat niederzulegen und damit gleichzeitig aus der FDP-Bürgerschaftsfraktion und infolgedessen auch aus dem Kreisvorstand der Partei auszuscheiden.

 Da ich denke, dass Sie als Mitglied der Lübecker FDP Anspruch darauf haben, über die Hintergründe meines Schrittes aufgeklärt zu werden, möchte ich hierzu folgendes ausführen:

 Wie Sie wissen, hatte ich mich vor einigen Wochen auf die ausgeschriebene Stelle des Wirtschafts- und Sozialsenators beworben. Zuvor hatte ich diesen Schritt in einem persönlichen „Vierer-Gespräch“ mit unserem Kreisvorsitzenden sowie dem CDU-Kreisvorsitzenden und dem Vorsitzenden der CDU-Bürgerschaftsfraktion erörtert, wobei diese meine damalige Absichtserklärung wohlwollend aufgenommen hatten. Ich möchte gleich an dieser Stelle klarstellen, dass ich es bedauerlicherweise unterlassen habe, rechtzeitig meine diesbezügliche Absicht auch innerhalb der (erweiterten) Fraktion und dem Kreisvorstand zu erörtern bzw. zu diskutieren. Vielmehr hatte ich mich darauf beschränkt, mit einzelnen Fraktions- bzw. Kreisvorstandsmitgliedern hierüber zu sprechen, wobei deren Auswahl nicht einmal gezielt erfolgte, sondern sich jeweils mehr oder weniger aus einer Gesprächsgelegenheit heraus ergeben hatte. Hierfür habe ich mich sowohl gegenüber den Mitgliedern des Kreisvorstands als auch denjenigen der (erweiterten) Fraktion wiederholt und auch schriftlich entschuldigt.

 Nachdem die CDU-Fraktion sich kurzfristig entschlossen hatte, in der seinerzeit anstehenden Bürgerschaftssitzung am 25. März 2010 den Kandidaten Dr. Amblank (SPD) zu unterstützen, hat die erweiterte Fraktion der FDP am Montag, 22. März 2010, über diese neue Entwicklung beraten. Im Ergebnis bestand Einigkeit darüber, dass ich mich gleichwohl weiterhin zur Wahl stellen sollte, mithin auch auf die Gefahr hin, dass ich ggf. nur die  fünf Stimmen der FDP-Fraktion erhalten würde. Insbesondere das in dieser Sitzung anwesende Fraktionsmitglied Jana Lange widersprach dem nicht.

 Am Tag nach dieser Sitzung, also am Dienstag, 23. März 2010, traf ich eher zufällig meinen Stellvertreter Thomas Rathcke im Rathaus, der mir mitteilte, er habe von sich aus noch einmal mit allen anderen Mitgliedern der (Kern-)Fraktion (also Jana Lange, Karl Erhard Vögele und Wolfgang Drozella) über die anstehende Senatorenwahl gesprochen. Nach dem Ergebnis dieser Gespräche könne ich mir sicher sein, alle Stimmen der FDP-Fraktion zu erhalten.

 Noch am Mittwoch, 24. März 2010, also am Vortag der Senatorenwahl in der Bürgerschaft, erhielt ich von dem Fraktionsmitglied Karl Erhard Vögele, ohne dass ich darum gebeten hätte, eine E-Mail mit folgendem Wortlaut: „Lieber Herr Schalies, bereits Herrn Rathcke habe ich gestern erklärt, dass ich Ihnen egal was kommt, meine Stimme bei der Wahl geben werde. Das Gleiche habe ich heute im Telefonat mit Frau Sell gesagt. …“

 Ebenfalls am Mittwoch, 24. März 2010, rief mich auch das Fraktionsmitglied Wolfgang Drozella an, um mir noch einmal zu versichern, dass er mir seine Stimme geben werde. Auch dies geschah, ohne dass ich um diese erneute Versicherung gebeten hätte.

 Tatsächlich haben mir dann in der geheimen Wahl im Rahmen der Bürgerschaftssitzung am 25. März alle drei genannten Mitglieder der FDP-Fraktion ihre Stimme verweigert.

 Sie werden ganz sicher nachvollziehen können, dass mich dieser Vorgang menschlich sehr getroffen hat. Unabhängig davon haben die benannten drei Fraktionsmitglieder aber auch dem Ansehen der Fraktion und demjenigen der Partei schweren Schaden zugefügt. Insofern darf ich auf die erwartungsgemäß verheerende Presseberichterstattung verweisen.

 Am Freitag, 26. März 2010, erfolgte innerhalb der Kernfraktion eine erste Aussprache, in der auch die Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit auf sachlicher Ebene, ggf. nach Abgabe einer Ehrenerklärung für mich, nicht ausgeschlossen wurde.

 Am Montag, 29. März 2010, trat der Kreisvorstand zu einer Sondersitzung zusammen. Als einzige der „Abweichler“ fühlte sich Jana Lange veranlasst, sich – insoweit anerkennenswerter Weise – mit klaren Worten für Ihr Verhalten zu entschuldigen. Nach intensiver Diskussion einigte man sich darauf, dass eine erneute Aussprache innerhalb der Kernfraktion unter Moderation des Kreisvorsitzenden erfolgen sollte. Dieser war allerdings ferienbedingt erst ab dem 17./18. April wieder in Lübeck.

 Aufgrund der Absicht der übrigen Mitglieder der Kernfraktion, das besagte Treffen auf den 27. April zu terminieren und ohne den Kreisvorsitzenden durchzuführen, wies ich in einer Mail vom 18. April 2010 darauf hin, dass die Einbindung der Partei durch unseren Kreisvorsitzenden zurecht vereinbart worden sei, weil aufgrund der Außenwirkung schließlich auch der Ruf des Kreisverbandes auf dem Spiel stehe. Gleichzeitig machte ich klar, dass für mich persönlich eine weitere Zusammenarbeit innerhalb der Bürgerschaftsfraktion, aber auch der Partei, nur dann in Betracht komme, wenn die Kernfraktion, hilfsweise aber der Kreisvorstand, jedenfalls versucht, meine Reputation in der Öffentlichkeit in angemessener Weise (z.B. in Form einer Ehrenerklärung) wieder herzustellen. Alternativ schlug ich vor, die Angelegenheit bis zum Kreisparteitag am 15. Mai 2010 ruhen und dort entscheiden zu lassen.

 Am 19. April 2010 teilte Wolfgang Drozella mir per Mail mit, dass er für sich beschlossen habe, mit einer endgültigen Entscheidung bis zum Tag des Bürgerentscheides (Flughafen) zu warten, „um diesen nicht auch nur im Geringsten evtl. zu stören“. Er kündigte gleichzeitig an: „Für den Fall, dass Du nicht bereit bist, Deine Fraktionsführung selbst zu hinterfragen und den Weg für einen Neubeginn in der Fraktionsführung freizugeben, sehe ich mich gezwungen, die Fraktion unter Beibehaltung meines Mandates zu verlassen.“

Zuvor hatte er übrigens in einer Mail vom 17. April 2010 noch u.a. wörtlich folgendes erklärt: „Als erklärte „persona non grata“ bin ich bereit, die Fraktion zu verlassen, um wieder in die hintersten Reihen der Schweigenden Mehrheit und polit. Uninteressierten zu treten.“

 Auch Karl Erhard Vögele teilte in einer Mail vom 19. April 2010 u.a. mit, dass er seine „Position zum weiteren Fortgang der Fraktionsarbeit erst kurz vor Schließung der Wahllokale (am 25. April) über eMail an die Mitglieder der Fraktion bekannt geben“ werde. In einer weiteren Mail teilte Karl Erhard Vögele dann an dem besagten Abstimmungstag mit, dass er sich eine weitere Zusammenarbeit mit mir in der Fraktion nicht mehr vorstellen könne. Weiter: „Ich beabsichtige, aus der FDP-Fraktion auszuscheiden und als fraktionsloses Mitglied in der Bürgerschaft zu verbleiben. … Für den Fall dass Herr Schalies sein Bürgerschaftsmandat bis zum Ablauf des 27. April 2010 niederlegt, ist mein Ausscheiden aus der Fraktion hinfällig.“

 Am 26. April fand auf mein Drängen eine Sitzung des Kreisvorstandes zu den Entwicklungen innerhalb der Fraktion statt. Zuvor hatte ich unseren Kreisvorsitzenden darauf aufmerksam gemacht, dass aufgrund der (im Fall Vögele später erwartungsgemäß konkretisierten) Ankündigungen von Wolfgang Drozella und Karl Erhard Vögele die Fraktion auseinanderzubrechen drohe. Um dieses zu verhindern, hatte ich Herrn Koch gegenüber gleichzeitig angeboten, ggf. selbst mein Bürgerschaftsmandat niederzulegen. Die Kreisvorstandssitzung endete mit dem Beschluss, innerhalb der Kernfraktion am nächsten Tag noch einen letzten Vermittlungsversuch unter Moderation der beiden stellvertretenden Kreisvorsitzenden Frau Dr. Blunk und Herrn Mirko Schultz zu unternehmen.

 Einen Tag später, also am 27. April 2010,  traf sich die Kernfraktion abends bei Frau Dr. Blunk. Die Teilnahme von Herrn Schultz stieß insbesondere bei Karl Erhard Vögele auf Ablehnung, einer Moderation durch Frau Dr. Blunk stimmte er zudem erst nach einigem „Hin und Her“ zu.

Im Ergebnis blieb auch dieser Vermittlungsversuch erfolglos. Sowohl  Karl Erhard Vögele als auch Wolfgang Drozella blieben bei ihrem Ultimatum: Entweder ich lege mein Bürgerschaftsmandat nieder oder beide verlassen die Fraktion mit Mandat. Für meine Entscheidung setzten sie eine Frist von 24 Stunden. In einer „nachgeschobenen“ Mail  machte Wolfgang Drozella  noch den Alternativvorschlag, ich möge (nur) den Fraktionsvorsitz niederlegen, um ihm und mir den Verbleib in der Fraktion zu ermöglichen.

 Daraufhin bat ich am Morgen des 28. April 2010 unter Schilderung der Sachlage den Kreisvorstand per Mail um ein Votum, wie ich mich seiner Meinung nach verhalten solle. Ich machte allerdings deutlich, dass der „Alternativvorschlag“ von Wolfgang Drozella für mich definitiv auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil ich meine moralische Legitimation bezüglich des Fraktionsvorsitzes nicht zuletzt aus dem Umstand herleite, dass die Partei mich als Spitzenkandidat zur Kommunalwahl 2008 auf Listenplatz 1 gewählt hatte.

 In Beantwortung dieser Mail teilte unser Kreisvorsitzender Herr Koch mit, dass er in Gesprächen mit Karl Erhard Vögele und Wolfgang Drozella quasi eine Verlängerung deren Ultimatums erreicht habe.  Gleichzeitig lud er zu einer weiteren Kreisvorstandssitzung zur abschließenden Klärung der Situation für den 30. April 2010 ein.

 Deren Ergebnis teilte mir Herr Koch am 01. Mai 2010 telefonisch mit. Im Ergebnis hatte sich der Kreisvorstand mehrheitlich dafür ausgesprochen, auf jeden Fall die bisherige Fraktionsstärke von fünf Mitgliedern zu wahren. Im Klartext: Ich solle mein Bürgerschaftsmandat niederlegen.

 Ich fasse (zum Teil ergänzend) zusammen: 

  • Alle drei benannten Mitglieder der FDP-Fraktion haben mir abredewidrig in der Bürgerschaftssitzung am 25. März 2010 bei der Wahl des Wirtschafts- und Sozialsenators ihre Stimme versagt, Karl Erhard Vögele und Wolfgang Drozella sogar trotz unaufgefordert (!) am Vortag noch persönlich gegebener ausdrücklicher Zusage.
  • Jana Lange, Karl Erhard Vögele und Wolfgang Drozella haben durch dieses Verhalten nicht nur meinem öffentlichen Ansehen als FDP-Fraktionsvorsitzender, sondern darüber hinaus auch dem Ansehen der Fraktion und der Lübecker FDP insgesamt nachhaltig geschadet.
  • Von den benannten Fraktionsmitgliedern hat es lediglich Jana Lange für nötig gehalten, sich zumindest bei mir persönlich und parteiintern zu entschuldigen. Eine öffentliche Entschuldigung ist von keinem der Benannten erfolgt; öffentliche Worte des Bedauerns fand ebenfalls keiner der „Abweichler“.
  • Eine von mir angebotene Beratung des Themas auf dem Kreisparteitag am 15. Mai 2010 mit dem Ziel, dessen Meinungsbild in die Entscheidung über eine weitere Zusammenarbeit innerhalb der Bürgerschaftsfraktion einfließen zu lassen, wurde nicht aufgegriffen. Vielmehr sträubten sich Karl Erhard Vögele und Wolfgang Drozella sogar mehrfach gegen eine Beteiligung selbst des Kreisvorstandes an einer möglichen Konfliktlösung, indem sie u.a. die am 29. März im Kreisvorstand unter Beteiligung aller Beteiligter beschlossene Moderation durch unseren Kreisvorsitzenden (und anfänglich auch diejenige von Frau Dr. Blunk) rundweg ablehnten.
  • Dass ausgerechnet Wolfgang Drozella das Votum der Partei solchermaßen scheute, erscheint aus meiner Sicht auch deshalb bemerkenswert, weil dieser bei verschiedenen Anlässen immer wieder – sicher nicht ganz zu Unrecht – eine intensivere Einbindung der Partei-Mitglieder in die Entscheidungsfindung innerhalb der Lübecker FDP gefordert hatte.
  • Stattdessen haben Wolfgang Drozella  und Karl Erhard Vögele offen angekündigt, die FDP-Fraktion unter Mitnahme Ihres Mandates zu verlassen (was einen Austritt aus der Partei bedingt, § 32a Abs. 3 Gemeindeordnung), sofern ich weiterhin Fraktionsvorsitzender bleiben sollte. 
  • Der Kreisvorstand hat sich diesem Ultimatum gebeugt, indem er mir im Ergebnis seiner Sitzung vom 30. April 2010 nahelegte, mein Bürgerschaftsmandat niederzulegen, um ein Schrumpfen der Fraktion von fünf auf drei Mitglieder zu verhindern.

Liebe Parteifreunde,

es bleibt Ihnen selbstverständlich überlassen, diese Umstände zu bewerten.

 Ich selbst halte das Verhalten insbesondere von Wolfgang Drozella und Karl Erhard Vögele für in hohem Maße unehrenhaft. Dies gilt insbesondere für die offene Drohung von Wolfgang Drozella und Karl Erhard Vögele, die Fraktion unter Mitnahme des über die FDP-Liste (Drozella: Platz vier, Vögele: Platz acht) errungenen Bürgerschaftsmandates zu verlassen, sollte ich weiterhin Fraktionsvorsitzender bzw. auch nur Fraktionsmitglied (Vögele) bleiben. 

Der Umstand, dass der Kreisvorstand sich diesem Ultimatum gebeugt hat, lässt mir keine andere Wahl, als meine kommunalpolitischen Ämter niederzulegen. Ein Ausscheiden aus Partei und Fraktion unter Mitnahme meines Bürgerschaftsmandates kam für mich aus moralischen Gründen übrigens zu keinem Zeitpunkt in Betracht.

 Mein heutiger Schritt geht, Sie werden es mir vielleicht nachsehen, nicht ganz ohne persönliche Bitterkeit einher. Wie die Lebenserfahrung lehrt, ist aktuelle Verbitterung jedoch kein guter Ratgeber, wenn es darum geht, weitreichende Entschlüsse zu fassen. Ich werde deshalb einstweilen weiterhin Mitglied der Partei bleiben. Ob mein Abschied aus der Kommunalpolitik auf Dauer sein wird, lässt sich ebenfalls heute noch nicht abschätzen.

 Verbunden mit den besten persönlichen Wünschen verbleibe ich

 mit freundlichen Grüßen

Ihr

 Thomas Schalies

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